Alle 4000er der Alpen besteigen - diesen Traum haben sich Marlies und Andi erfüllt. Sie standen auf allen 82 Gipfel der Alpen, die die 4000er-Marke überschreiten. Kennengelernt haben sich Marlies und Andi 2009 auf einer Wanderung zu Hause in Oberösterreich. Ihre erste gemeinsame Tour auf das Zinalrothorn stellte die zwei bereits auf die erste Bewährungsprobe. Kälte, Sturm, vereiste Schlüsselstelle. Die Tour hatten sich Marlies und Andi wohl anders vorgestellt. Doch die schlechten Verhältnisse konnten ihnen nichts anhaben. Die Freude am Gipfelkreuz war groß. In diesem Moment war ihnen klar: „Cool, wir zwei können Großes erreichen!“
Wie eingespielt Marlies und Andi auf ihren Touren sind, wer für das Kochen danach verantwortlich ist, wie sie den Klimawandel erleben und dass man nicht immer nur zu Fuß absteigen muss - das alles erfährt ihr in unserem Interview.
Wann kam euer Entschluss, alle 4000er der Alpen zu besteigen?
Marlies: Andi fragte mich nach unserer Schreckhorn-Lauteraarhorn-Überschreitung im Jahr 2015 eher beiläufig auf wie vielen 4000ern ich schon gestanden hatte. Zu meiner Überraschung waren es zu diesem Zeitpunkt bereits 62 Viertausender, die ich in meinem 4000er-Büchlein abhaken konnte. Alle hatte ich in den vergangenen vier Jahren neben meinem Vollzeitjob bestiegen. Ab diesem Moment wusste ich: Ich möchte auch auf den verbleibenden 20 Gipfeln stehen. Das gelang mir dann 2017.
Andi: Der Traum auf allen 4000ern der Alpen gestanden zu haben, war bei mir immer im Hinterkopf. Ich hatte dieses Jahr bereits 66 Gipfel in der Tasche, als wir uns Richtung Westalpen auf den Weg gemacht haben. Dabei konnte ich mit mit Lagginghorn, Obergabelhorn und Gran Paradiso gleich drei Gipfel abhaken, die ganz oben auf meiner Wunschliste standen. Dann bekam ich noch eine Woche Corona-Schonfrist (während sich Marlies im Bus auskurierte) und machte die Grandes-Jorasses-Überschreitung allein. Dabei konnte ich weitere vier Gipfel abhaken, die, von denen die noch übrig waren, eigentlich die schwierigsten waren. Von da an wussten wir beide: Meine verbleibenden Gipfel versuchen wir noch in diesem Sommer!
Waren die 82 Gipfel schon immer ein Traum von euch?
Oh nein, von langer Hand geplant war das nicht. Der große Traum auf diesem Weg war vor allem, dank der 4000er, auch die Alpen auf so unglaublich vielfältige Weise und Blickwinkel erleben zu dürfen. So eine große Tour hat so viele kleine Höhepunkte: Diese immer wieder unglaublichen Sonnenaufgänge nach frühen Starts mitten in der dunklen Nacht, in diese gigantische Welt zwischen Gletscher und Grate einzutauchen nach langen Zustiegen über Wiesen und durch Wälder, beeindruckende Linien direkt aus dem Tal weg zu meistern, so viele schöne Ecken, Dörfer und Bergmenschen kennenlernen zu dürfen, die Natur und sich selbst in allen Facetten zu spüren, auf den langen Touren auch dieses schrittweise Zurücklassen des Alltags und irgendwann dann einfach über den Wolken zu stehen – und eines Tages dann sogar von diesen Gipfeln mit dem Gleitschirm in aller Leichtigkeit hinunterzufliegen. Dieses Konglomerat an Erlebnissen und Gefühlen war der große Antrieb, sich immer und immer wieder zu diesen großen Bergen aufzumachen. Und als dann plötzlich nur noch wenige Gipfel übrig waren, wurde es ein schönes Ziel und ein Traum, sie alle zu schaffen.
Andi, du warst gerade erst auf deinem letzten 4000er, dem Pollux. Wie war es für dich, am Gipfel zu stehen?
Andi: Als ich dort oben stand, fühlte ich vor allem Dankbarkeit. Dankbarkeit, dass all die Touren unfallfrei verlaufen sind und dass wir so viele gemeinsam erleben durften. Es war auch wie ein Kurzfilm meines bisherigen Bergsteigerlebens: So viele verschiedene, spannende Touren und Erlebnisse, die ich erfahren und so viel Natur und Schönheit unserer Alpen, die ich sehen durfte.
Welcher Berg hat auch am besten gefallen? Von welchem Berg habt ihr die schönsten Erinnerungen?
Am intensivsten und eindrücklichsten ist uns der Peuterey Integral in Erinnerung – eine unglaublich lange und abwechslungsreiche Linie auf der wilden Südseite vom Mont-Blanc-Massiv, die mehrere abgelegene Viertausender verbindet – die Aiguille Blanche de Peuterey, den Grand Pilier d’Angle bis hinauf zum Mont Blanc. Diese Tour vereinte in mehreren Tagen alles, was wir bisher beim Bergsteigen lernen durften: Beginnend mit einer extrem langen Granitkletterei und Abseilfahrt, brüchiges Abenteuer- und Mixed-Gelände, schmale Firngrate, lange Firnflanken und am Ende eine Wechte wie eine Schaumrolle, und der finale Gipfel mit dem Mont Blanc.
Einer der schönsten Viertausender für uns ist das Finsteraarhorn – weit hinten versteckt im Berner Oberland steht es isoliert von der Zivilisation. Damit verbinden wir auch eine wunderbare Erinnerung, als wir nach einer Skibesteigung den Gipfel für uns allein hatten und dann bei Windstille mit dem Gleitschirm hinuntersegelten.
Was war eure größte Herausforderung?
Die größten Herausforderungen stehen uns erst bevor. Der Klimawandel verändert das Hochgebirge auf dramatische Weise. So extrem wie im heurigen Hitzesommer haben wir das noch nie erlebt – die Berge bröckeln munter vor sich hin und viele Gletscher haben wir bald komplett verloren. Das richtige Timing und damit auch die Tourenplanung werden immer wichtiger. Heuer haben wir letztendlich auf unsere Traumtouren auf der Mont-Blanc-Südseite verzichtet, weil uns die Verhältnisse zu gefährlich geworden sind. Viele Touren werden nur noch in einem kleinen Zeitfenster möglich sein – und manche bald gar nicht mehr, will man nicht Kopf und Kragen riskieren.
Gab es eine Tour, die ihr abbrechen musstet?
Bei unseren Viertausender-Touren gab es interessanterweise nur einen einzigen Gipfel, der mehrere Anläufe brauchte – dafür gleich drei: das Täschhorn.
Was schätzt ihr aneinander, wenn ihr zusammen unterwegs seid?
Wir sind als Seilschaft extrem gut eingespielt, verstehen uns blind und haben eine sehr ähnliche Vorstellung vom Bergsteigen und vom Umgang mit der Natur. Zwischen uns herrscht eine absolute Offenheit, für die es nicht viele Worte braucht. Wenn wir uns zum Beispiel beim Klettern in einer Felswand nicht sehen, spüren wir in der Regel eindeutig über das Seil, was der andere macht und zu sagen hat. Wir wissen, wer am Standplatz welche Handgriffe macht. Das schafft Sicherheit und schweißt uns zusammen. Unser größter Schatz sind die Erinnerungen, die wir miteinander teilen.
Wie arbeitet ihr zusammen, wenn ihr eine Tour macht? Gibt es Aufgabenverteilungen?
Ja, vor allem, wenn wir von einer Tour zurückkommen. Meistens ist Marlies die Hungrigere und beginnt gleich mit dem Kochen. Andi hingegen ist der Ordentlichere und will die Rucksäcke ausgeräumt und die Gleitschirme zusammengelegt wissen. Beides dauert in etwa gleich lang und somit ergänzen wir uns perfekt. Auf Tour gibt es eigentlich keine fixe Aufgabenverteilung.
Wenn wir von unseren Touren in Geschichten erzählen, ist Marlies für den Text und Andi für die Bilder zuständig. Wobei wir das auch gerne ineinanderfließen lassen.
Wie plant ihr eure Touren?
Sehr kurzfristig und gerne mit einer kreativen Ader. Uns macht es riesigen Spaß, die Einsamkeit und Exponiertheit eines Berges und einer schönen Linie aufzuspüren. Da nehmen wir sehr gerne eine größere Zahl an Höhenmeter, längere Wege oder höhere Schwierigkeiten in Kauf. Uns geht es immer um das Gesamterlebnis und so fragen wir uns vor einer Tour gerne mal: Wie können wir daraus eine schöne runde Sache machen, wie können wir uns den Zustieg oder den Abstieg verschönern – die Bikes mitnehmen, den Gleitschirm? Was wir nicht mögen, ist etwas zu lange im Vorhinein zu planen – gerade im Hochgebirge ändern sich die Verhältnisse so schnell, sodass wir lieber zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein möchten.
Was sind eure nächsten Projekte?
Naja… 4000 + 4000 ergibt …? :-)
Wir sind gespannt und freuen uns auf weitere Geschichten von Marlies und Andi.
Marlies Czerny arbeitet als freie Alpin-Journalistin. In ihrem Buch 4000ERLEBEN schreibt sie unter anderem über die Höhen und Tiefen auf ihren gemeinsamen Touren in den Alpen.
Andreas Lattner ist selbstständiger Fotograf und gibt den gemeinsamen Abenteuern zusammen mit Marlies‘ kreativer Ader ein unvergessliches Gesicht.
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